31.07.2022
Literarische Erkundungen rund um Erich Mühsam, den Revolutionär und Schriftsteller, führten jetzt Literaturbegeisterte
für einige Tage nach Meiningen.
Vom 31 .Juli bis 5.August waren 20 Literaturbegeisterte zu einem Seminar unter dem Titel „Mühsam in Meiningen“ in
der attraktiven thüringischen Stadt zu Gast. Veranstaltet wurde es vom Evangelischen Bildungswerk Bremen innerhalb
der Reihe Literatur an Ort und Stelle.
Warum gerade in Meiningen erhellt sich, wenn man weiß, dass der Schriftsteller und Revolutionär Erich Mühsam 1930
mehrfach Meiningen besuchte,um in der Bakuninhütte Gleichgesinnte aus dem Raum Thüringen zu treffen.
Es war die Endphase seines politischen Wirkens. Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 wurde Mühsam
sofort von den Nazis verhaftet und 1934 im KZ Oranienburg ermordet. Als Hauptvertreter der Anarcho-Syndikalistischen
Bewegung und als einer der wichtigsten Aktivisten der 1. Münchner Räterepublik ist dieser Mann historisch
Interessierten ein Begriff. Weniger bekannt und in den gängigen Literaturgeschichten kaum erwähnt, ist
seine breite literarische Tätigkeit. Mühsam beherrschte alle Genres. Er schrieb unablässig Gedichte,
darunter auch viele über die Liebe, verfasste mehrere Theaterstücke und ein Romanfragment,
aber auch philosophische, kulturpolitische und agitatorische Texte, die er vor allem in seinen Zeitschriften Kain und Fanal herausgab.
Zusätzliche spannende Einblicke in Zeit und Person(en) liefern Mühsams umfangreicher Briefwechsel und nicht zuletzt die
Tagebücher,auch online einzusehen. Dabei klingt es ein wenig makaber, dass das Romanfragment mit dem Titel „Ein Mann des Volkes“,
das in satirischer Weise die Karriere eines SPD-Funktionärs aufs Korn nimmt, in der Einzelhaft in der Festung Niederschönenfeld geschrieben wurde.
Nach Mühsams Entlassung auf Bewährung 1924 blieb keine Zeit mehr, das interessante Projekt weiterzuführen, da die politische Aktion
angesichts des aufkommenden Nationalsozialismus wieder im Vordergrund stand.
Für die Teilnehmer des Seminars war es eine zusätzliche lrritation, dass die Beschäftigung mit dem Schriftsteller,
der Jahre seines Lebens hinter Gefängnismauern verbracht hatte,im Hotel Fronveste stattfand und sie in zum Teil
umgebauten Zellen des ehemaligen Gefängnisses wohnten. Heute jedenfalls ist das Hotel Fronveste eine gastfreundliche und für Tagungszwecke bestens geeignete Begegnungsstätte.
„Diese Hütte haben die Genossen gebaut…“ steht auf einer Postkarte Erich Mühsams an seine Frau Zenzl vom 8.Februar 1930.
Das Foto zeigt eine historische Aufnahme. Ein Besuch der Bakuninhütte stand natürlich auch auf dem Seminarplan der Literaturinteressierten. Foto: Archiv
Den Teilnehmer des Seminars fiel beim Lesen der Tagespresse übrigens auf, dass der Untertitel des Meininger Tageblattes Freier Geist und freies Wort
tlautet. HattensiedochbeimBesuchder Bakuninhütte auf der Hohen Maas, wo die Seminargruppe von kundigen Vertreterinnen des Wandervereins
Bakuninhütte Genaueres über die wechselvolle Geschichte dieses Ortes erfuhren, den in den 1920er Jahren von einem Meininger
Anarcho-Syndikalisten formulierten Hüttenspruch entdeckt: „Freies Land und freie Hütte ,freier Geist und
freies Wort, freie Menschen, freie Sitte zieht mich stets an diesen Ort.“ Die Frage, ob das Meininger Tageblatt im Sinne dieses
Spruches arbeitet, musste zwar offen bleiben,h ätte die Gruppe jedoch sehr gefreut.
Ohne Frage blieb, dass der Wanderverein Bakuninhütte mit außerordentlichem Engagement versucht,dieses in Deutschland kulturhistorisch
einmalige Denkmal Bakuninhütte ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu rücken, wofür ihm jede politische, finanzielle und
mediale Unterstützung zu wünschen wäre. So fügte sich eins zum andern und Meiningen erwies sich als der angemessene Ort,
das Leben und Werk von Erich Mühsam erneut zu würdigen, fand doch schon 2015 im Meininger Schloss eine Ausstellung zu Mühsam in Meiningen statt.
Claudia Rouvel/Rudolf Wenzel