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Zum 90. Todestag von Erich Mühsam

Ein humanistischer Anarchist

Am 10.Juli 1934 wurde Erich Mühsam im Konzentrationslager Oranienburg von SS-Schergen im Zimmer des Kommandanten ermordet. Seine Leiche wurde im Abort erhängt, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Das war der traurige Schlusspunkt einer siebzehnmonatigen Folterhaft. Warum aber war Erich Mühsam einer der Ersten, den die Nazis verhafteten und ermordeten?

Er verkörperte in seiner Person alles, was ihnen verhasst war: Er war Jude, Anarchist, Antimilitarist, Bohemien. Er war einer der führenden Köpfe der Revolution 1918 und Mitbegründer der Räterepublik in München. Er war ein begnadeter Redner und Agitator und er war ein Dichter, der mit seinen Gedichten, Erzählungen und Theaterstücken auch Menschen erreichte, die nicht zu politischen Versammlungen gingen. Er war es, der bereits sehr früh vor dem aufkommenden Faschismus und der Person Adolf Hitler gewarnt hat.

Sein Leben war früh geprägt durch die autoritäre Erziehung von Vater und Schule, der er sich widersetzt. Er selbst schreibt über seine Kindheit Lübeck: 

„Mein Werdegang und meine Lebenstätigkeit werden bestimmt von dem Widerstand, den ich von Kindheit an den Einflüssen entgegensetzte, die mir Erziehung und Entwicklung im privaten und gesellschaftlichen Leben aufzudrängen suchten.“

Sicher liegt hier – wenn wohl auch nicht der einzige – Grund für seinen Mut und seine Standhaftigkeit, die sein ganzes weiteres Leben prägten und uns bis heute immer wieder fragen lässt, woher er die Kraft genommen hat, sich bis zum bitteren Ende nicht vereinnahmen und schon gar nicht brechen zu lassen. Nach seinem eigenen Bekennen war Mühsam „schon Anarchist, bevor ich wußte, was Anarchismus ist“.

In seiner Schrift „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“ (1932), liefert er eine Definition des Anarchismus:

 „Anarchismus ist die Lehre von der Freiheit.

Wo Ausbeutung ist, wo Macht ist, wo Autorität waltet, wo Zentralismus besteht, wo der Mensch die Menschen bewacht, wo befohlen und gehorcht wird, ist keine Freiheit.

Die Zerstörung aller Obrigkeit, aller Vorrechte, aller Eigentums- und Versklavungs-einrichtungen kann nur aus freiheitlichem Gemeinschaftssinn erfolgen. Die staatenlose Gemeinschaft freier Menschen das ist Kommunismus, die Verbundenheit Gleicher in Freiheit, das ist Anarchie.“

Dieses Zitat reicht, um zu verstehen, dass Mühsam niemals ein Parteigänger oder ein politischer Anführer sein konnte. Gleichwohl war er ein Leben lang Revolutionär, Kämpfer gegen Obrigkeit und Fremdbestimmung und hat dafür vielerlei Schmähungen und Strafen ertragen. Gefängnis, Festungshaft, Verbannung und letztlich den Tod.

Er war ein Suchender wie er selbst in einem seiner Gedichte schreibt:

 „Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.“ 

Und diese Wanderschaft spiegelt sich auch tatsächlich in seinem Leben wider. 

Er verließ Lübeck 1900, ging nach Berlin, wo er seinen lebenslangen Freund, Mentor und Lehrer Gustav Landauer traf, sich dessen lebensreformerischen Kreis der

„Neuen Gemeinschaft“ anschloss. Er schließt sich der Boheme an und verbringt viel Zeit mit Gleichgesinnten in Cafés und Kneipen. 

„Freiheitsdrang, der den Mut findet, gesellschaftliche Bindungen zu durchbrechen und sich Lebensformen zu schaffen, die der eigenen inneren Entwicklung die geringsten Widerstände entgegensetzen“ . So seine Definition der Boheme.

Er zieht 1902 aus der Großstadt nach Friedrichshagen am Müggelsee und schließt sich dort für eine kurze Zeit dem Friedrichshagener Dichterkreis an, wo er auch auf Max Halbe, Morgenstern, Fidus und andere Künstler trifft, die der Großstadt müde sind.

Hier bekommt er durch Albert Weidner eine Anstellung als Redakteur der Wochenzeitschrift „Der arme Teufel“. Eine bezahlte Arbeit ist für Mühsam gerade jetzt lebenswichtig.

Es zieht ihn aber aus dem beschaulichen Friedrichshagen auch immer wieder nach Berlin Er schreibt für Kabaretts und tritt auch selbst dort auf.

Er wandert von 1904 -1908 mit seinem Freund Johannes Nohl, mit dem er eine homosexuelle Beziehung hat,  durch Österreich, die Schweiz zum Monte Verita.

Die „vegetabile Cooperative“ hält sie nicht lange, es geht weiter nach Paris und dann nach Wien. Immer mittellos und auf Unterstützung durch anarchistische Freunde angewiesen.

Und immer schreibt er, veröffentlicht Gedichtbände, Theaterstücke,

„Die Psychologie der Erbtante“, die Streitschrift „Die Jagd auf Harden“. Seine Wanderschaft geht weiter. Er zieht 1909 von Berlin nach München, gründet „Kain-Zeitschrift für Menschlichkeit“. Der Beginn des ersten Weltkrieges 1914 bedeutet für ihn, dass er kaum noch etwas veröffentlichen kann. Er schließt sich Hungerstreiks und Protestdemonstrationen gegen den Krieg an. 

1915 heirateter Kreszentia (Zenzl) Elfinger, die seine Arbeit unterstützt und ihm Stabilität gibt. Es folgen die Novemberrevolution 1918, die Räterepublik zu Beginn 1919, seine Festnahme und Verurteilung zu 15 Jahren  Festungshaft in Niederschönenfeld . Im Zuge der sogenannten „Hitleramnestie“ wird er 1924 aus der Haft entlassen und geht nach Berlin.

In der Haft schreibt er nicht nur sein 1910 begonnenes Tagebuch weiter, sondern zahllose Gedichte, Streitschriften, das Theaterstück „Judas“. Bereits in der Haft 1919 verfasst er das Gedicht: „Der Gefangene“, dessen zentrale Zeilen:

 „Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!“ 

gleichsam die Überschrift über das gesamte Leben Erich Mühsams sind.

Nach der Festungshaft geht sein Kampf für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Faschismus in Berlin weiter. Als ständiger Mahner findet er leider nur wenig Gehör.

Er arbeitet von 1925 bis 1929 aktiv in der „Roten Hilfe“ RDH.

 Die Zeitschrift „Fanal“ gründet er, sie erscheint monatlich von 1926 bis 1931. 

1927 zieht er in die Hufeisensiedlung in Berlin-Britz. Sein Haus wird Treffpunkt und auch Zufluchtsort für Mitstreiter und Verfolgte. Seine bescheidenen Mittel teilt er mit denen, die es dringend brauchen. Nach allen Aussagen seiner Zeitgenossen, war er ein zutiefst gutmütig und freundlich. Ein Menschenfreund, der selbst nur wenig Menschlichkeit erfuhr.

Als seine Zeitschrift „Fanal“ 1931 verboten wird, tritt er weiter in politischen Versammlungen als Redner auf, mahnt immer wieder auch seine Schriftstellerkollegen vor der aufkommenden Gefahr. Anfang Februar1933 sagt er in der letzten Sitzung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller: 

„Und ich sage Euch, dass wir, die wir hier versammelt sind uns alle nicht wiedersehen. Wir sind eine Kompanie auf verlorenem Posten. Aber wenn wir hundertmal in den Gefängnissen des Dritten Reiches verrecken werden, so müssen wir heute noch die Wahrheit sagen, hinausrufen, dass wir protestieren. Wir sind dem Untergang geweiht.“

Wenige Tage später ist diese Vision für Erich Mühsam Realität. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er verhaftet. Einen Tag bevor er auf   Wunsch seiner Frau Zenzl nach Prag hätte reisen wollte.

Was bedeutet Erich Mühsam, sein Leben, sein Kampf für Menschlichkeit gegen Krieg, Faschismus und Unterdrückung für uns heute? Gerade in einer Zeit, in der rechtes, völkisches Gedankengut wieder um sich greift, geradezu salonfähig geworden ist bis in gutbürgerliche Kreise hinein, in einer Zeit, in der Krieg allgegenwärtig Menschen und Zivilisation vernichtet, ist es notwendig sich der eigenen Verantwortung und Möglichkeiten bewusst zu werden.

Das heißt nicht, dass wir alle den Mut und die Kraft aufbringen könnten und müssten wie Erich Mühsam, aber sein Leben kann uns ermutigen, mit unseren individuellen Möglichkeiten beizutragen, dass Demokratie und Freiheit, die uns allen in diesem Land und in Europa so selbstverständlich erscheinen, nicht in Gefahr geraten. 

Wir sollten nicht zu lange warten uns einzubringen.

Wie schnell eine Gesellschaft ins Rutschen kommen kann, hat uns die Geschichte gezeigt.

Auch wenn die heutigen Verhältnisse nicht 1:1 vergleichbar sind, die Gefahr ist die gleiche.

Die Erich-Mühsam-Gesellschaft bemüht sich seit 1989, dem 111. Geburtstag Erich Mühsams darum das Andenken des Schriftstellers zu erhalten, in seinem Geist die fortschrittliche, friedensfördernde und für soziale Gerechtigkeit eintretende Literatur zu pflegen und seine Absage an jede Unterdrückung, Gewalt und Diskriminierung von Minderheiten für die Gegenwart zu nutzen.

Wer sich über die Arbeit der Gesellschaft näher informieren will, der sei auf die website www.erich-muehsam-gesellschaft.de hingewiesen, auf der laufend über Veranstaltungen und Aktivitäten berichtet wird. 

Wer sich mit dem Leben von Erich Mühsam eingehender beschäftigen möchte, der sollte die Biographie von Chris Hirte lesen: Erich Mühsam. Eine Biografie, Ahriman-Verlag.

Die erwähnten Tagebücher Erich Mühsams stehen – auch Dank Chris Hirte – nicht nur in Buchform, sondern auch digital unter: Erich Mühsam Tagebücher für jeden im Netz zur Verfügung.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns anrühren und aktivieren lassen von dem mutigen Leben des humanistischen Anarchisten und Dichters Erich Mühsam.

Rosemarie Bouteiller

Vorsitzende der Erich-Mühsam-Gesellschaft e.V.

Gedenktafel für Zenzl Mühsam

Der jetzige Besitzer des Hauses Dorfstr.5 Haslach,84072 Au i.d.Hallertau,
hat am Geburtshaus von Zenzl Mühsam eine Gedenktafel angebracht.

Die Erich-Mühsam-Gesellschaft dankt Herrn Eichenlaub herzlich, dass er an diese mutige Frau von Erich Mühsam erinnert, deren schweres Schicksal viel zu wenig bekannt ist.

Wer mehr über sie wissen möchte kann nachlesen in Heft 9 der Schriften der Erich-Mühsam-Gesellschaft ISBN978-3-931079-11-6
Für 10.-€ über jede Buchhandlung oder die Erich-Mühsam Gesellschaft  zu beziehen.

Neue Gedenktafel für Zenzl Mühsam auch in Berlin

Auf Initiative der AG Spurensuche des Pankower Frauenbeirats wurde am Haus in der Binzstraße 17 eine Gedenktafel in Erinnerung an Crescenz (Zenzl) Mühsam (1884-1962) angebracht .